Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht gehört zu den herausragenden Intellektuellen unserer Zeit. Seine weitgespannte Forschungsarbeit reicht von der Geschichte der spanischen Literatur bis zu Fragen unserer «brüchigen Gegenwart».
In seinem Vortrag geht Gumbrecht auf ein Spannungsverhältnis ein, in das Thomas Manns Roman «Der Zauberberg» (1924) mit seinem Aufstieg zum Literaturklassiker gerät. Denn seinen Status als Jahrhundertroman bezieht der Text aus der Vorstellung, dass er zeitlosen ästhetischen Wert besitzt und Faszinationen weckt, die von der Entstehungszeit sowie seiner Lektüre unabhängig sind. Dabei versucht der Roman aber gerade, eine historisch besondere Welt darzustellen und diese aus der Sicht einer ihr nachfolgenden, anderen Welt zu betrachten.
Das 100-Jahr-Jubiläum des «Zauberbergs» nimmt Gumbrecht zum Anlass, um grundsätzlich nach der Beziehung zwischen Literaturästhetik und historischem Verstehen zu fragen.