Frau Francisca Silva e Sousa, Sie sind Leiterin Collection Care des Migros Museums für Gegenwartskunst und kümmern sich um die Kunstwerke der Sammlung, insbesondere um moderne Materialien und zeitbasierte Medienkunst. Was bedeutet es eigentlich, sich um diese «zu kümmern», und welche besonderen Herausforderungen ergeben sich durch diese zeitgenössischen Kunstwerke in Ihrem Arbeitsalltag?
Ich bin ausgebildete Restauratorin für zeitgenössische Kunst und habe mich auf moderne Materialien, Sammlungsmanagement und zeitbasierte Medienkunst spezialisiert. Der Begriff «Sammlungspflege» in meinem Titel am Migros Museum anstelle von «Konservierung» zeigt eine jüngste und bedeutende Verschiebung in diesem Bereich, weg von einem materiellen Fokus hin zu einem breiteren Verständnis dessen, was ein Kunstwerk ist oder sein kann. In diesem Zusammenhang verstehe ich die Sammlungspflege als die Vermittlung von Ideen, spezifischen Momenten in Raum und Zeit sowie von Materialität an ein möglichst breites Publikum über einen längeren Zeitraum hinweg. Durch meine Erfahrung habe ich gelernt, dass es bei den Pflegeaktivitäten eher um die «Pflege mit» als um die «Pflege für» geht. Die grössten Anforderungen, denen sich unser Team gegenübersieht, drehen sich daher um das Verständnis dessen, was «Pflege mit» bedeutet – sei es im Umgang mit komplexen Techniken oder Materialien, bei der Variabilität der Präsentation oder bei bestimmten konzeptionellen Fragen.
Wie beeinflussen die speziellen Anforderungen moderner Materialien und zeitbasierter Medienkunst Ihre Entscheidungen bei der Konservierung?
Unsere Sammlung umfasst rund 1600 Kunstwerke. Viele davon bestehen aus Materialien (moderne oder traditionelle), die auf unkonventionelle Weise verwendet werden. Die erfordern eine besondere Pflege. Einige davon sind bereits gut erforscht, wie die Pflege von Kunststoffen. Viele Kunstwerke bestehen jedoch aus zusammengesetzten Materialien und verschiedenen Komponenten. Die Installationskunst, die in der Sammlung des Migros Museums eine zentrale Rolle spielt, stellt neben den materiellen Aspekten auch Herausforderungen an das Management, da sie viel Lagerraum benötigt, eine umfangreiche Dokumentation erfordert und die Gefahr besteht, dass Teile voneinander getrennt werden. Bei der zeitbasierten Medienkunst, die oft auch Teil der Installationskunst sein kann, besteht zudem das Risiko, dass Medienträger und elektronische Geräte veralten. Unser Fokus liegt darauf, festzustellen, ob diese Komponenten einzigartig und unersetzlich sind oder ersetzt werden können. Überdies ist die digitale Archivierung der Medien in einem technologisch zuverlässigen System, das die Standards der Datenerhaltung einhält, entscheidend für einen nachhaltigen Konservierungsplan.
Was ist das Spannendste oder Herausforderndste an Ihrer Arbeit als Leiterin der Sammlungspflege?
Viele Objekte verhalten sich nach klassischen Museumsstandards «widerspenstig» und stellen eine Herausforderung dar, wenn man versucht, sie wie «domestizierte» Objekte zu behandeln. Dies bietet jedoch eine kontinuierliche und spannende Reise des Lernens und Verlernens in der Praxis der Konservierung. Die Objekte selbst leiten uns bei der Pflege an, indem sie unsere Handlungen und Interaktionen prägen. Dies unterstreicht den sozial abhängigen Charakter der Sammlungspflege, der durch die Erkenntnisse unseres Teams, der Künstler*innen und des Museumspublikums bereichert wird. Dieser dynamische Aspekt entfernt uns von der bisherigen Vorstellung, dass die Konservierung, wie andere Wissenschaften auch, neutral sein könnte. Sie ist ebenso spannend wie herausfordernd und entwickelt sich ständig weiter. Und natürlich ist es ein Privileg, mit so ausgewählten Kunstwerken arbeiten zu können.