Erstausgabe «Ulysses» | Sammlung ZJJS
«The Little Review» | Sammlung ZJJS
«Ulysses»-Verlegerin Sylvia Beach und James Joyce in Beachs Buchhandlung «Shakespeare & Company», Paris 1922. Im Hintergrund: «Sporting Times» mit der Ankündigung des Verrisses | Foto: unbekannt, University at Buffalo, Joyce Collection (Exponat 75)

Wie kommt ein Objekt ins Museum? Was macht ein*e Kurator*in? Was passiert in einer Restaurierungswerkstatt? Antworten auf diese und andere Fragen gibt unsere neue Serie «Behind the Scenes», die Einblick gibt hinter die Kulissen der Zürcher Museen und ihre verschiedenen Abteilungen. Wir starten im Strauhof mit Philip Sippel, Stv. Leitung, und der Ausstellung «Ulysses von 100 Seiten».

Philip Sippel, der Strauhof ist ein Museum ohne Sammlung und eines der wenigen Häuser im deutschsprachigen Raum, das regelmässig literarische Ausstellungen präsentiert. Was bedeutet das für die Ausstellungsarbeit? Wie unterscheidet sie sich von der in anderen Museen?
Richtig, wir haben keine Sammlung im Haus. Diese Einschränkung gibt uns aber auch Spielraum: Da wir mit keiner Sammlung arbeiten müssen, kann potenziell alles zu einem Exponat werden: ein Gedicht von Nora Gomringer, ein Satz aus James Joyces Roman «Ulysses» oder ein von Hand geschriebener Entwurf davon. Natürlich zeigen wir in unseren Ausstellungen schön anzuschauende Handschriften und Typoskripte mit Korrekturen der Autor*innen. Wir finden im Strauhof aber auch, dass ein Literaturmuseum nicht auf diese auratischen Schriften beschränkt sein muss – oder auf Reliquien wie die Brille eines Autors, einer Autorin. Hier kommt die Szenografie ins Spiel: Je nach Exponat kann und darf diese lauter oder muss eben gerade sehr zurückhaltend sein, so auch bei der Sprache. Dass es sich bei unseren Gegenständen immer um Sprachliches handelt, ist sicher auch eine Herausforderung, denn diese Sätze und Texte, die gezeigt werden, müssen schliesslich auch noch gelesen werden.

Ihr macht klassische Werke und aktuelle Themen erfahrbar, schafft einen Raum der Imagination über Sprachen und Grenzen hinweg. Wie geht ihr bei der Programmgestaltung dafür vor?
In der Literatur kommt man nicht um den etablierten «Kanon» herum. Gleichzeitig verstellt dieser immer auch den Blick auf andere, ebenso innovative, aber oftmals weniger sicht- und hörbare Stimmen, zum Beispiel aus der zeitgenössischen Lyrik. Unser Ziel besteht auch darin, diesen Spagat zu schaffen. Es wäre langweilig, wenn immer nur Dürrenmatt, Frisch, Mann und Keller im Strauhof gezeigt würden – die Literatur ist viel diverser. Aber diese grossen Namen und deren Jubiläen haben natürlich, und legitimerweise, einen Resonanzraum. Übrigens kommen viele Schulklassen von Gymis und Berufsschulen zu uns, da dort diese grossen Namen natürlich gelesen werden. 

Interessant ist es, sich an klassische Themen oder ganze Bücher heranzuwagen, sie in die Gegenwart zu holen. In der Ausstellung «Frankenstein – von Mary Shelley zum Silicon Valley» sind wir etwa der These nachgegangen, dass Shelleys Figur Frankenstein – hätte diese im 21. Jahrhundert gelebt – eine künstliche Intelligenz erfunden hätte und kein Wesen aus Fleisch und Blut. So konnten wir diesen Klassiker präsentieren und gleichzeitig über die Entwicklung von Chatbots und KIs nachdenken, was das wiederum mit Literatur zu tun hat – und eben, was uns «Frankenstein» dazu vermitteln kann.

Am 02.02.1922 erschien James Joyces «Ulysses», also genau 100 Jahre später widmet ihr dem Roman eine Ausstellung (ab 02.02.2022), die Entstehung und Rezeption sowie Inhalt und Form von «Ulysses» inszeniert. Wie ist die Ausstellung «Ulysses von 100 Seiten» zustande gekommen? Wie war das Vorgehen von der Idee bis zu den «fertigen» Ausstellungsräumen?
Klar war von Anfang an, dass es um das Buch «Ulysses» gehen soll, und nicht um den Autor James Joyce. Für die Ausstellung haben wir eng mit den Kuratorinnen der Zürcher James Joyce Stiftung zusammengearbeitet, die ein immenses Wissen über «Ulysses» haben. Und natürlich gibt es in der Stiftung eine beeindruckende Sammlung mit Objekten zum Buch, etwa eine Schnurrbart-Tasse, die im Roman vorkommt. Und dann gibt es auch Sticker-Quotes oder eine Simpsons-Episode, die zeigen, dass die Populärkultur ihren (komplett unverkrampften) Umgang mit Joyce gefunden hat. Diese kuriose Tasse, die den Schnurrbart beim Teetrinken schützen soll, ist nun ein Objekt in der Ausstellung und ermöglicht, in eine Episode der 18 Buchkapitel hineinzufinden. Zum hundertsten Geburtstag sind nun 100 Exponate zu sehen, wobei Zitate aus dem Buch oder Video-Kommentare gelten auch als solche.

Die Ausstellung erzählt natürlich auch den Roman, der stilistisch ambitioniert ist, sogar radikal, aber sein Inhalt scheint auf den ersten Blick trivial zu sein. Der Plot handelt von drei Figuren und deren Begegnungen und Gedanken an einem einzigen Tag in Dublin, dem 16. Juni 1904. Das macht den Roman gleichzeitig anspruchsvoll, aber auch unterhaltsam. Damit man bei 100 Exponaten nicht so verloren dasteht, hatten die Gestalterinnen eine wunderbare Idee: Die Wände zeigen einen Farbverlauf, von früh morgens bis spät in der Nacht – und so weiss man immer, welche Tageszeit im Buch gerade ist. Diese Farbverläufe sind wirklich unglaublich schön anzusehen und sie vermitteln den Eindruck, durch diesen Tag, der im Buch geschildert ist, hindurchzugehen. Und weil die Sprache eigentlich die Protagonistin ist, war es uns wichtig, sie entsprechend zu inszenieren. Es gibt deswegen in der Ausstellung grosse Textfahnen, die den jeweils ersten Satz der 18 Buchkapitel zeigen. Erste Sätze sind ja immer ganz bewusste Setzungen. Und für «Ulysses» zeigen sie nebeneinander die immense sprachliche Vielseitigkeit von Joyce. 

                         «I’ve put in so many enigmas and puzzles that it will keep the professors busy for                           centuries arguing over what I meant, and that is the only way of insuring one’s                                 immortality.»  
                        – James Joyce über «Ulysses»

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