«Behind the Scenes» im Friedhof Forum und Mühlerama

07.09.2022 / Blog
«COPAIN» – eine Ausstellung von Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Mühlerama
Aussaat für die Ausstellung «Tod – unser täglich Brot» im Friedhof Forum
Reto Bühler, Leiter Friedhof Forum der Stadt Zürich
Pius Tschumi, Museumsleiter Mühlerama

Die beiden international bekannten Schweizer Kunstschaffenden Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger beschäftigen sich seit Langem mit Erinnerungskultur. Sie befassen sich intensiv mit dem Thema Brot und dessen geistigen wie leiblichen Bezügen. Aktuell ist die Auseinandersetzung der beiden mit Brot im Friedhof Forum sowie im Mühlerama zu bestaunen. Auf dem Friedhof Sihlfeld bauten sie im Rahmen von «Tod – unser täglich Brot» ein Weizenfeld an, aus dessen Mehl Kunstbrote entstehen. Die Ausstellung «COPAIN» im Mühelrama ist eine Hymne an das Brot und die Menschen, die es backen – und eröffnet einen neuen Blick auf dieses Lebensmittel. Wir haben bei Reto Bühler, Leiter Friedhof Forum, und Pius Tschumi, Leiter Mühlerama, nachgefragt.

Reto Bühler, das Künstlerduo hat ein Weizenfeld angepflanzt, die Verbindung zwischen Leben und Tod. Was und wie wurde angebaut? Ist das Feld noch begehbar?
Ein Weizenfeld auf einem Friedhof anzubauen, hat im Vorfeld zu einigen Diskussionen geführt. Darf man das denn? Verletzt man damit Gefühle? Je mehr wir jedoch den Bezug Getreide/Tod gesellschaftlich oder auch kunstgeschichtlich betrachteten, desto mehr ergab es Sinn. Ein blühendes Weizenfeld: Es gibt kaum eine schönere Allegorie auf das Leben – aber auch auf den Tod. Das Mähen, das Knicken des Korns; auf vielen Grabsteinen findet sich dieses Bild als Synonym für den Tod. Nachdem wir eine Wiese neben dem Friedhof Forum vorbereitet hatten, konnten Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger mit der Aussaat von Hand beginnen. Verwendet wurde ein naturbelassener Blé-Weizen der Getreidezüchtung Peter Kunz (gzpk), welcher Mitte Juli bereits in voller Reife stand und mit Sicheln und Sensen geerntet werden konnte. Gedroschen wurde der Weizen lokal im Quartierhof Wynegg und gemahlen dann im Museum Mühlerama. Aus dem Mehl sind Kunstbrote entstanden, die wiederum Eingang in die Ausstellung fanden. Ein Kreislauf, auch hier.

Für die Ausstellung «Tod – unser täglich Brot» vernetzen die zwei Kunstschaffenden ausgesuchte Grabobjekte mit unterschiedlichen «Erinnerungs-Broten». Die beständigen Materialien der Grabobjekte bilden dabei einen Kontrast zu den zerbrechlichen, getrockneten Broten. Das klingt ziemlich abstrakt, kannst du uns mehr erzählen? Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?
Mit meinem Co-Kurator Juri Steiner verbindet mich eine langjährige Freundschaft. Bei einem Mittagessen kamen wir auf die Idee, mit Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger zusammenzuarbeiten. Wir wussten von deren Affinität zum Thema Tod – sie veranstalteten 2016 den grossartigen «Totentanz» in Basel – und Juri stand mit ihnen gerade in Kontakt. Bei einem Atelierbesuch im Januar 2022 entwickelten wir das Konzept für «Tod – unser täglich Brot». Auch unser Kooperationswunsch mit dem Mühlerama entstand da.
Dadurch, dass viele der Objekte zum Teil jahrzehntelang auf einem Grab standen, von Wind und Wetter gezeichnet, verleiht ihnen das auch ungeachtet ihrer ursprünglichen Verwendung eine Schönheit und Würde. Gemeinsam mit den verschiedenen, teilweise sehr filigranen «Todes-Broten» erscheint die Ausstellung nicht abstrakt, sondern eher feingliedrig, lustig, traurig, überraschend, erkenntnisreich und vielschichtig: die Objekte stehen, liegen oder sie schweben. Leicht wie das Leben, schwer wie der Tod.

Pius Tschumi, «Tod – unser täglich Brot» steht in direktem Bezug zur parallelen Ausstellung «COPAIN» im Museum Mühlerama. Hunderte von Brot-Objekten aus den unterschiedlichsten Kulturen und Epochen wurden von Steiner und Lenzlinger zusammengetragen. Wie sind die beiden Künstler*innen vorgegangen und wie habt ihr mit ihnen die Ausstellung kuratiert? 
Die Brotsammlung haben Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger für eine Ausstellung im Frac Provence Alpe Côte d’Azur in Marseille angelegt und diese hätte während der Manifesta 13 im Coronajahr 2020 eröffnet werden sollen. Es kam anders und die Sammlung wuchs auf über 1000 Brote weiter an, um dann im Oktober 2021 in Marseille endlich präsentiert zu werden. Durch die Fülle und Diversität der Sammlung entsteht eine Art Hyper-Realität, die die Besuchenden fesselt und inhaltlich zu zentralen Fragen unserer Ernährung führt. Ein Teil dieser Sammlung wird im Friedhof Forum integriert, der grössere Teil wird im Museum Mühlerama entlang der historischen Industriemühle auf vier Stockwerken ausgestellt. Die Sammlung wird nach thematischen und formalen Kriterien auf riesigen Tischen ausgelegt.
Es ist ein Zürcher-Tisch entstanden, dieser ist zur Marseille-Version dazugekommen, zudem haben wir viele «Gestalt-Brote» aus kulturhistorischen Dokumentationen nachgebacken. Speziell möchte ich das ukrainische Hochzeitsbrot erwähnen: Dieses wurde durch eine Mitarbeiterin von unserem Museum direkt aus Lemberg organisiert und ist mit einer flüchtenden Person ins Museum gelangt. Dieses Brot hat hohen Symbolcharakter, mit handwerklich unglaublich schönen Verzierungen, und wird an Hochzeitsfesten im gesamten slawischen Raum wie in Bulgarien, Russland, Polen und eben der Ukraine am Fest aufgegessen. Der oberste Teil gehört dem Brautpaar, der mittlere Teil der Brautmutter und der grosse untere Teil den Gästen – den Boden bekommen die Musiker, da sind Geldmünzen eingebacken. Bis zum Juni 2023 veranstalten wir ein breites Rahmenprogramm dazu: Brotkultur soll erlebt und gelebt werden.

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